Medizinische Behandlungen mit Psychedelika

Medizinische Behandlungen mit Psychedelika

Organisationen
Ausgabe
2023/43
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.1236462644
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(43):38-39

Affiliations
a PD Dr. med., MHBA, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychiatrische Dienste Thurgau, Spital Thurgau AG, Münsterlingen
b Prof. Dr. med., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinik für Erwachsene, Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, Basel
c Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Solothurn
d Prof. Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Freiburger Netzwerk für Psychische Gesundheit, Villars-sur-Glâne
e PD Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, Zürich
f Dr. med., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychiatrische Dienste Thurgau, Spital Thurgau AG, Münsterlingen
g PD Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, Basel
h Prof. Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, Zürich
i Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Allschwil
j PD Dr. med., spécialiste en Psychiatrie et Psychothérapie, Service d’Addictologie, département de psychiatrie, Hôpitaux universitaires de Genève, Genève
k PD Dr. med., MScPH, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen, Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, Basel
l Prof. Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitäre Psychiatrische Dienste Bern, Bern
m Prof. Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, Zürich

Publiziert am 25.10.2023

Positionspapier
Psychedelika werden häufiger zur Behandlung von therapieresistenten psychischen Erkrankungen eingesetzt. In der Schweiz fehlen aber offizielle Behandlungsempfehlungen. Nun hat die Schweizerische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP) in Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachgesellschaften ein Positionspapier erstellt.
Psychedelika sind zu einer wichtigen Behandlungsoption bei therapieresistenten psychischen Erkrankungen geworden. Aufgrund des mittlerweile zugelassenen Einsatzes von Esketamin, des zunehmenden Einsatzes von Ketamin sowie der zunehmenden medizinischen Anwendung von Psychedelika wie Psilocybin, LSD, DMT (Ayahuasca) und MDMA international und in psychiatrischen Institutionen und spezialisierten Praxen in der Schweiz mit Sonderbewilligung durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) [1] sollten Behandlungsstandards ausformuliert werden, um die therapeutische Anwendung von Psychedelika in der Schweizer Psychiatrie transparent und auf dem gegenwärtigen Stand der Evidenz zu regulieren. Das vorliegende Positionspapier wurde deshalb unter Federführung der SGPP in enger Zusammenarbeit mit weiteren Schweizer Fachgesellschaften erstellt (siehe Kasten).

Zusammenarbeit mit Fachgesellschaften

Partnergesellschaften der SGPP:
  • Swiss Conference of Academic Psychiatry (SCAP)
  • Schweizerische Vereinigung Psychiatrischer Chefärztinnen und Chefärzte (SVPC)
Angegliederte Gesellschaften der SGPP:
  • Schweizerische Gesellschaft für Angst und Depression (SGAD)
  • Schweizerische Gesellschaft für Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie (SGAMSP)
  • Schweizerische Gesellschaft für Biologische Psychiatrie (SGBP)
  • Schweizerische Gesellschaft für Interventionelle Psychiatrie (SGIP)
  • Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin (SSAM)
Weitere Gesellschaften:
  • Association des Professionnels pour les Psychédéliques en Thérapie (ASPT)
  • Schweizerische Ärztegesellschaft für Psycholytische Therapie (SÄPT)

Erarbeitete Empfehlungen

Die SGPP empfiehlt in Zusammenarbeit mit weiteren Fachgesellschaften Folgendes:
  1. Die SGPP beruft eine Fachkommission ein, welche Best-Practice-Empfehlungen für den Einsatz von Psychedelika ausarbeitet. Analog zum Beispiel zur Zulassung von intranasalem Esketamin sollen darin enthalten sein: mögliche Indikationen, Kontraindikationen, Vorsichtsmassnahmen, somatisches und psychiatrisches Screening, Vorbereitung, Nachsorge, pharmakologische Parameter, Co-Medikationen, pharmakokinetische und -dynamische Interaktionen, Notfallmedikationen, Überwachung, Fahrtüchtigkeit und unerwünschte Arzneimittelwirkungen.
  2. Voraussetzung für die Behandlung mit Psychedelika in psychiatrischen Institutionen oder spezialisierten Praxen der Schweiz soll sein, dass eine geeignete Ausstattung sowie geschultes Personal für die therapeutische Begleitung sowie für den adäquaten Umgang mit somatischen und psychiatrischen Notfallsituationen anwesend sind.
  3. Generell muss sichergestellt sein, dass in der Behandlung mit Psychedelika die ethischen Prinzipien und die Voraussetzungen in Bezug auf Aus-, Weiter- und Fortbildung eingehalten und kontrolliert werden, entsprechend der Standesordnung der FMH [2] und anderen relevanten ethischen Richtlinien in Bezug auf die medizinische Anwendung von Psychedelika.
  4. Es sind hohe Anforderungen an die Pflicht zu Sorgfalt, Patientenaufklärung inklusive schriftlichem Einverständnis, Standardisierung und Dokumentation zu stellen. Gemäss heutigem Evidenzstand – und solange bei einer allfälligen Zulassung durch Swissmedic keine anderslautende Empfehlung definiert ist – wird die Therapie mit Psychedelika mit einer dafür geeigneten Psychotherapie kombiniert, der sogenannten «Psychedelika-assistierten Psychotherapie» (siehe Kasten).
  5. Psychiatrische Institutionen und spezialisierte Praxen, welche Psychedelika zur Behandlung von therapieresistenten psychischen Erkrankungen einsetzen, sollten zu einem Qualitätsverbund unter Federführung der SGPP zusammengeschlossen werden.
  6. Der Qualitätsverbund erarbeitet Kriterien für die transparente, evidenzbasierte Zertifizierung der therapeutischen Anwender und Anwenderinnen. Dabei werden Gold-Standards in Bezug auf Therapieverfahren sowie auf die Aus-, Weiter- und Fortbildung der Therapeutinnen und Therapeuten, beispielsweise in Form eines durch das Schweizerische Institut für Weiter- und Fortbildung (SIWF) anerkannten Fähigkeitsausweises, erarbeitet [11, 12].
  7. Der Einsatz von Psychedelika und Psychedelika-assistierter Psychotherapie darf nur unter Aufsicht von Fachärztinnen und Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie erfolgen, die zur Berufsausübung in der Schweiz berechtigt sind.
  8. Es soll ein obligatorisches und strukturiertes Reporting von unerwünschten Arzneimittelwirkungen aufgebaut werden, idealerweise durch den Anschluss an das elektronische Überwachungssystem von Swissmedic (ElViS). Das Reporting sollte in jedem Fall erfolgen, auch vor der allfälligen Zulassung eines Psychedelikums als Medikament.

Psychedelika-assistierte Psychotherapie

Die Psychedelika-assistierte Psychotherapie (PAP) stellt ein innovatives pharmako-psychotherapeutisches Verfahren dar. Aktuell besteht wissenschaftliche Evidenz für ein begrenztes Anwendungsspektrum bei therapieresistenten Erkrankungen, insbesondere für die Therapieresistenz bei Depressionen, Alkoholabhängigkeit, posttraumatische Belastungsstörung und Angsterkrankungen [3–9]. Der Einsatz der PAP muss der aktuellen wissenschaftlichen Evidenz entsprechen.
Bisherige Studien zeigen jedoch oft methodische Limitierungen und die wissenschaftliche Beurteilung hinsichtlich Wirksamkeit und Nebenwirkungen ist nicht abgeschlossen. Bisher hat noch keiner der psychedelischen Wirkstoffe (ausser Esketamin) eine Zulassung als Medikament. Die Anwendung der PAP soll deshalb bis auf Weiteres auf die gemäss internationalen Kriterien definierte Therapieresistenz psychischer Erkrankungen beschränkt bleiben.
Die PAP besteht aus zwei psychoaktiven Wirkfaktoren: pharmakologischen Effekten (zum Beispiel Bewusstseinsveränderung, Neuroplastizität) und psychischen Effekten (zum Beispiel therapeutische Beziehung, emotional-kognitive Prozesse). Beide Faktoren beeinflussen sich wechselseitig [10]. Wie bei der klassischen Pharmakotherapie müssen daher auch für die PAP Indikationen, Nebenwirkungen und Kontraindikationen berücksichtigt werden [11]. Zudem muss sichergestellt sein, dass eine angemessene Aufklärung über diese Aspekte erfolgt.
Ein besonderes Augenmerk gilt den Protokollen für die Behandlung mit Psychedelika und der damit kombinierten PAP, welche bei Mangel an Standardisierung und Evidenz ein Risiko für die Sicherheit der Patientinnen und Patienten darstellt [11].
rainer.kraehenmann[at]stgag.ch
1 Bundesamt für Gesundheit (BAG). Beschränkte medizinische Anwendung von verbotenen Betäubungsmitteln. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/gesetze-und-bewilligungen/gesuche-bewilligungen/ausnahmebewilligungen-bewilligungen-betmg/ausnahmebewilligungen-verbotene-betaeubungsmittel/ausnahmebewilligungen-beschraenkte-medizinische-anwendung.html (Abrufdatum: 23.07.2023)
2 Foederatio Medicorum Helveticorum (FMH). Statuten und weitere Reglemente: Standesordnung der FMH. Website: https://www.fmh.ch/ueber-die-fmh/statuten-reglemente.cfm. (Abrufdatum: 15.05.2023)
3 Ko K, Kopra EI, Cleare AJ, et al. Psychedelic therapy for depressive symptoms: a systematic review and meta-analysis. Journal of Affective Disorders 2023;322:194-204.
4 Goodwin GM, Aaronson ST, Alvarez O, et al. Single-dose psilocybin for a treatment-resistant episode of major depression. New England Journal of Medicine 2022;387:1637–1648.
5 Bogenschutz MP, Ross S, Bhatt S, et al. Percentage of heavy drinking days following psilocybin-assisted psychotherapy vs placebo in the treatment of adult patients with alcohol use disorder: a randomized clinical trial. JAMA Psychiatry. 2022;79:953-962.
6 Yu CL, Yang FC, Yang SN, et al. Psilocybin for end-of-life anxiety symptoms: a systematic review and meta-Analysis. Psychiatry Investig 2021;18:958–967.
7 Holze F, Gasser P, Müller F, et al. Lysergic acid diethylamide–assisted therapy in patients with anxiety with and without a life-threatening illness: a randomized, double-blind, placebo-controlled phase II study. Biological Psychiatry 2023;93:215–223.
8 Smith KW, Sicignano DJ, Hernandez AV, et al. MDMA‐assisted psychotherapy for treatment of posttraumatic stress disorder: a systematic review with meta‐analysis. The Journal of Clinical Pharmacology 2022;62:463–471.
9 Gu J, Baer RA, Cavanagh K, et al. MDMA-assisted therapy for severe PTSD: a randomized, double-blind, placebo-controlled phase 3 study. Nature Medicine 2021;27: 1025–1033.
10 Koslowski M, Johnson MW, Gründer G, et al. Novel treatment approaches for substance use disorders: therapeutic use of psychedelics and the role of psychotherapy. Current Addiction Reports 2022;9:48-58.
11 McNamee S, Devenot N, Buisson M. Studying harms is key to improving psychedelic-assisted therapy—participants call for changes to research landscape. JAMA psychiatry 2023;80:411-412.
12 Feduccia A, Agin-Liebes G, Price CM, et al. The need for establishing best practices and gold standards in psychedelic medicine. Journal of Affective Disorders 2023;332:47-54.