Wie viel Abfall produzieren wir?

Praxistipp
Ausgabe
2023/36
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.22016
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(36):80-81

Publiziert am 06.09.2023

Nachhaltigkeit Die sozioökologische Transformation ist alternativlos. Gerade in der Schweiz, wo das Gesundheitswesen einen signifikanten Anteil zum Co2-Ausstoss beiträgt. Unser Autor Christian Abshagen schreibt über die Mosaiksteine auf dem Weg zu einem «healthier tomorrow».
Ich habe Dinge gehört, welche ich zuvor noch nie (in meinem Medizinstudium) gehört habe. Es hat meinen Horizont erweitert und ich konnte viel Neues lernen.»
Wissen Sie, wie viel Wäsche in Ihrem Spital pro Tag gewaschen wird? Wie steht es um den Wasserverbrauch bei Dialysen und Interventionen wie z. B. Zystoskopien? Kennen Sie die Abfallkategorien und deren Entsorgungswege Ihrer Gesundheitseinrichtung? Welche Mengen Müll fallen bei Ihren Eingriffen an? Gelingt Ihnen die Abschätzung des Energieverbrauchs Ihres medizinischen Geräteparks? Und wie viele Emissionen verursacht Ihre Sprechstundentätigkeit Tag für Tag?
© Luca Bartulović
Keine Sorge, auch wiederholtes ratloses Kopfschütteln auf diese Fragen ist nicht ehrenrührig. Das wäre nur desinteressiertes Achselzucken und das Beiseitelegen dieser Kolumne. Denn all die oben genannten Themen sind gesundheitsrelevant und haben zudem eine gewichtige ethische Komponente. Es ist weithin bekannt, dass unser Gesundheitswesen einen signifikanten Anteil der Treibhausgasemissionen der Schweiz verursacht. Andere Umweltfussabdrücke wie der Verbrauch von Frischwasser und Materialressourcen schlagen vermutlich leider noch höher zu Buche [1]. Eine aktuelle Publikation [2] veranschaulicht zudem, wie dramatisch das Ungleichgewicht zwischen Verursachung durch Gesundheitssysteme in Hocheinkommensländern einerseits und der Verwundbarkeit durch die gesundheitlichen Folgeeffekte in Niedrigeinkommensländern andererseits ist.
Und weil jede Veränderung damit beginnt, die Augen zu öffnen und sich bewusst zu werden, kam es zu jenem Zitat am Anfang des Beitrags. Es stammt von einer Person im Masterstudium Humanmedizin, die an der letzten Winter School «Green hospital» der Universität Basel teilgenommen hat. Während einer Woche steigen die Studierenden hierbei in die Maschinerie eines Spitals, erhalten Einblicke in das Energiemanagement, verfolgen Abfall vom Ort der Entstehung bis zur Übergabe an den Entsorger, besuchen Wäscherei und Abwasserreinigungsanlage, betrachten Materialverbräuche aus den Perspektiven von OP, Anästhesie, Einkauf und Sterilisation.
Das alles mit dem Ziel, angehenden Ärztinnen und Ärzten ein besseres Verständnis für die enormen Ressourcenverbräuche zu vermitteln, die mit unserer Diagnostik und Therapie einhergehen, und sie in ihrer Kreativität für innovative, zukunftsfähigere Lösungen zu stimulieren.
Aus genau den gleichen Gründen beginnen erste Fachabteilungen damit, sich mittels sogenannten Waste audits Klarheit darüber zu verschaffen, welche Ressourcen in ihrer Leistungserstellung verkonsumiert werden und welche Abfälle dabei anfallen. Die Ergebnisse fördern Offensichtliches ebenso zu Tage, wie sie überraschende Erkenntnisse bringen. Fast immer finden sich Ansatzpunkte für erste sofortige Veränderungen, die oftmals mit Einsparungen in Kosten und Material einhergehen. Ebenso häufig demaskieren sie schmerzhafte Brüche und Absurditäten in unserem heutigen System.
Selbstredend müssen bei der – nach wissenschaftlichem Konsens [3] – alternativlosen sozialökologischen Transformation mehrere Handlungsebenen zugleich adressiert werden: Die individuelle und die strukturelle, die politische und die wirtschaftliche, die regionale und die globale.
Und so sind die oben ausgeführten Ansätze nur zwei Mosaiksteine auf dem Weg in ein «healthier tomorrow». Das Wunderbare daran jedoch ist, dass sie erlebbar machen, dass das, was man als Individuum beginnt, sehr schnell über das Selbst hinausgeht.
Probieren Sie es doch einmal aus! In Ihrer Abteilung, Ihrer Institution. Und berichten Sie gerne von Ihren Erfahrungen. Vielleicht darf ich sie zu einem späteren Zeitpunkt an dieser Stelle teilen und wir fügen dem Mosaik weitere Steine hinzu.
Dr. Christian Abshagen
Leiter der Fachstelle Nachhaltigkeit am Universitätsspital Basel und Dozent an der Hochschule für Life Science FHNW.
1 Steenmeijer M. et al., The environmental impact of the Dutch health-care sector beyond climate change: an input–output analysis, The Lancet Planetary Health, Vol 6, Issue 12, 2022; https://doi.org/10.1016/S2542-5196(22)00244-3
2 Bhopal, A., Norheim, O.F. Fair pathways to net-zero healthcare. Nat Med 29, 1078–1084 (2023); https://doi.org/10.1038/s41591-023-02351-2
3 EASAC – European Academies Science Advisory Council; Towards a sustainable future: transformative change and post-COVID-19 priorities, Oktober 2020, ISBN: 978-3-8047-4199-7

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