Auf den Punkt

Fehlanreize beseitigen

News
Ausgabe
2024/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2024.1317708374
Schweiz Ärzteztg. 2024;105(1-2):8-9

Publiziert am 10.01.2024

Gesundheitskosten
Kurz vor Weihnachten stimmte das Parlament der einheitlichen Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen zu. Die Vorlage geht auf eine parlamentarische Initiative von Ruth Humbel zurück. Die ehemalige Nationalrätin erläutert, was die Vorteile der neuen Regelung sind.
Gleiche medizinische Leistungen sollen gleich finanziert werden, unabhängig davon, ob sie ambulant oder stationär erbracht werden.
© Ginasanders / Dreamstime
Frau Humbel, Sie lancierten 2009 die parlamentarische Initiative «Finanzierung der Gesundheitsleistungen aus einer Hand». Was waren Ihre Beweggründe für die Initiative?
Bereits vor 20 Jahren hat sich der Bundesrat mit einer «monistischen Finanzierung» beschäftigt. 2004 hat eine Expertengruppe unter der Leitung von Professor Robert Leu verschiedene Modelle für eine monistische Finanzierung aufgezeigt. 2007, im Rahmen der Beratung der Spitalfinanzierung, haben die Räte den Bundesrat beauftragt, dem Parlament bis Ende 2010 eine Vorlage für eine einheitliche Finanzierung von stationären und ambulanten Leistungen vorzulegen. Weitere Vorstösse folgten, ohne dass der Bundesrat die Arbeiten aufgenommen hätte. Deshalb habe ich die parlamentarische Initiative eingereicht, damit das Parlament das Heft in die Hand nimmt.
Rechneten Sie damals damit, dass es 14 Jahre dauern würde, bis das Geschäft unter dem Namen «einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen» (EFAS) verabschiedet wird? Was sind wohl die Gründe für die lange Verzögerung?
Nein, nachdem der Nationalrat der Vorlage in der Herbstsession 2019 zugestimmt hatte, habe ich nicht gedacht, dass es nochmals vier Jahre dauern wird. Zuvor verliefen die Diskussionen mit der GDK (Gesundheitsdirektorenkonferenz) harzig. Die Kantone kamen immer mit neueren Forderungen. Zuerst propagierten sie «AVOS (ambulant vor stationär) statt EFAS». In der Folge erliessen sie Listen mit Leistungen, welche in Spitälern nicht mehr stationär, sondern ambulant erbracht werden müssen. Das entlastet die Kantonsfinanzen zulasten der Prämienzahlenden. Zudem forderte die GDK eine Steuerungsmöglichkeit im ambulanten Bereich. Diese Forderung wurde mit der Zulassungssteuerung erfüllt. Dann kam die Forderung des Einbezuges der Pflege in Heimen und Spitex. Auch dies wurde in die Vorlage aufgenommen. Somit sind die Forderungen der Kantone erfüllt.
Was wird EFAS konkret verbessern?
EFAS eliminiert eine Fehlentwicklung sowie Fehlanreize und stärkt dadurch die integrierte Versorgung. Unbestritten ist, dass der grundlegende Fehlanreiz im Gesundheitswesen in der unterschiedlichen Finanzierung des ambulanten und des stationären Bereichs liegt. Ambulante Leistungen werden voll von den Krankenversicherern – d.h. den Prämienzahlenden – übernommen, während stationäre Leistungen zu 55% von den Kantonen mit Steuern finanziert werden. Da immer mehr Leistungen ambulant gemacht werden können, steigen die ambulanten Kosten und entsprechend die Prämien, während der steuerfinanzierte Teil stagniert. EFAS korrigiert diese Fehlentwicklung und gleichzeitig auch den falschen Anreiz, dass die Entschädigung über die Behandlungsart entscheiden kann und nicht die rein medizinische Indikation.
EFAS soll im Akutbereich auf den 1. Januar 2028 in Kraft treten. Welche Aufgaben stehen vor dem Inkrafttreten noch für die Gesundheitsbranche an?
EFAS schafft die Voraussetzungen zur Beseitigung von Fehlanreizen. Die Tarifpartner sind nun gefordert, die Tarife zu überarbeiten und gleiche medizinische Leistungen gleich zu finanzieren, unabhängig davon, ob sie ambulant oder stationär erbracht werden. Zudem müssen sie im Zusatzversicherungsbereich innovative Modelle entwickeln, welche bei der Verlagerung von stationären zu ambulanten Behandlungen auch Zusatzleistungen im ambulanten Bereich vergüten.
Der VPOD hat das Referendum gegen EFAS ergriffen. Falls das Referendum zustande kommen sollte: Welche Argumente würden Sie der Stimmbevölkerung nennen, um sie von einem Ja zu EFAS zu überzeugen?
Wer gegen die Reform ist, will keine Verbesserung des Gesundheitssystems, sondern dieses an die Wand fahren. Die stark steigenden Prämien sind auch die Folge der Verlagerung von stationären Leistungen in den ambulanten Bereich, was die Prämienzahlenden stärker belastet und die Steuerzahlenden entlastet. Wer die Kostenentwicklung gleichermassen auf Prämien- und Steuerzahlende verteilen will, muss EFAS unterstützen. Erfreulicherweise stehen alle wichtigen Leistungserbringer-Verbände hinter EFAS und werden sich bei einem Referendum hoffentlich für EFAS einsetzen.
Ruth Humbel EhemaligeCVP-Nationalrätin (Kanton Aargau) von 2003 bis 2023, Verwaltungsrätin der Kranken- und Unfallversicherung Concordia sowie Präsidentin der Stiftungen EQUAM, RADIX und Vitaparcours

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