Kroki und Karte gesucht

Kroki und Karte gesucht

Hintergrund
Ausgabe
2024/10
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2024.1359929351
Schweiz Ärzteztg. 2024;105(10):

Publiziert am 11.03.2024

Krebsplan
Die Nationale Strategie gegen Krebs ist im Jahr 2020 ausgelaufen. Verschiedene Akteure der Krebsbekämpfung wünschen sich einen neuen Krebsplan für eine koordinierte und zielführende Zusammenarbeit – allerdings ist der Weg dorthin noch unklar.
Chancengleichheit, einen raschen Zugang zu innovativen Therapien und eine qualitativ hochstehende, bezahlbare Krebsmedizin – das wünschen wir uns alle. Die effektive Bekämpfung von Krebs erfordert jedoch die Koordination der beteiligten Akteure. In vielen Industriestaaten wird dies durch einen nationalen Krebsplan gefördert. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) forderte ihre Mitgliedsstaaten in der Resolution «Cancer prevention and control in the context of an integrated approach» vom Mai 2017 dazu auf, einen Krebsplan zu entwickeln [1]. Deutschland und Frankreich haben bereits nationale Krebspläne implementiert. Zudem investiert die Europäische Union massiv in die koordinierte Bekämpfung von Krebs, um sicherzustellen, dass Krebs bis 2035 nicht mehr die Haupttodesursache in Europa sein wird [2]. Auch in der Schweiz gibt es Stimmen, die die Einführung eines Krebsplans fordern. Dies, nachdem 2020 die «Nationale Strategie gegen Krebs 2014‒2020» (NSK) ausgelaufen ist und nicht erneuert wurde [3]. Doch noch ist der Weg zu einem Krebsplan unklar. Wer soll diesen Plan ausarbeiten? Und wie soll er konkret aussehen?

Grosses Potenzial

«Wir brauchen für Prävention und Früherkennung endlich eine nationale Koordination und Strategie, damit die sehr vielen vermeidbaren Krebserkrankungen reduziert werden können. Die von der Politik geforderten Elemente Chancengleichheit und Kosteneffizienz sind ohne Koordination nicht zu erreichen», sagt etwa der bekannte Onkologe und ehemalige Präsident von Krebsforschung Schweiz Prof. Dr. med. Thomas Cerny. Doch damit das funktioniere, brauche es Vorgaben auf nationaler Ebene. «Die Krebsprävention ist derzeit Sache der Kantone und somit sehr unterschiedlich geregelt.» Ein nationaler Krebsplan hingegen habe ein enormes Potenzial, Leid und Kosten zu vermeiden.
Ebenfalls zu den Befürwortern eines neuen Krebsplans gehört Prof. Dr. Markus Borner, Co-Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie (SGMO): «Ein neuer Krebsplan ist aus Sicht der SGMO durchaus wünschenswert.» Gleicher Meinung ist Prof. Dr. med. Anne Angelillo-Scherrer, die Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Hämatologie (SGH).

Prof. Dr. med. Thomas Cerny

Ehem. Präsident Krebsforschung Schweiz

«Wir brauchen für Prävention und Früherkennung endlich eine nationale Koordination und Strategie.»

Geschäft ist im Parlament

Das scheint Gehör zu finden. Auch die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerats (SGK-S) ist der Meinung, dass angesichts steigender Krebszahlen und neuer Therapiemöglichkeiten eine bessere Koordination in der Krebsbekämpfung essenziell sei – und hat im letzten Jahr eine Kommissionsmotion verfasst [4]. Im vergangenen Sommer hat der Ständerat die entsprechende Motion einstimmig angenommen. Aktuell befasst sich der Nationalrat damit [5].
Es bewegt sich also etwas. Wobei der Bundesrat seit Auslaufen der NSK einer erneuten nationalen Koordination eher zurückhalten gegenübersteht. In seiner Stellungnahme zur Motion [6] argumentierte er, dass es bereits nationale Strategien gebe, die die wichtigsten Herausforderungen im Bereich der Krebsbekämpfung abdecken würden. Etwa die Nationale Strategie zur Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (NCD) oder die gestaffelte Inkraftsetzung des Bundesgesetzes über die Registrierung von Krebserkrankungen. Ferner führte der Bundesrat in seiner Stellungnahme das Oncosuisse-Forum auf, das seit 2020 die Koordination der relevanten Projekte und Aktivitäten unter den Akteuren leiste und somit die Arbeit der NSK weiterführe.

Umstrittene Zuständigkeiten

Oncosuisse ist die Schweizerische Vereinigung gegen Krebs, ein Zusammenschluss von acht Schweizer Organisationen, die sich der Bewältigung der Krebskrankheit widmen. Ihre Hauptaufgabe ist die Koordination der politischen Massnahmen zur Krebsbekämpfung in der Schweiz.
Derzeit ist Oncosuisse daran, mit dem «Masterplan 2030» eine praxisnahe Bestandsaufnahme zu erstellen, mit der die aktuellen Herausforderungen im Bereich Krebs in der Schweiz identifiziert werden. Doch Masterplan ist nicht gleich Krebsplan. Vielmehr soll die Bestandsaufnahme als Diskussions- und Handlungsgrundlage für zukünftige Aktivitäten dienen.
«Unsere Gesellschaft steht vor mehreren gesundheitlichen Herausforderungen, von denen das Altern und Krebserkrankungen einen grossen Teil ausmachen», sagt Dr. med. Gilbert B. Zulian, Präsident Oncosuisse. Er ist überzeugt: «Durch eine proaktive, nachhaltige und gut abgestimmte Zusammenarbeit aller Beteiligten entlang der gesamten Versorgungskette können die Herausforderungen der Prävention, Behandlung, Sicherstellung der Versorgung sowie der Forschung im Bereich Krebs bewältigt werden.»

Prof. Dr. med. Anne Angelillo-Scherrer

Präsidentin SGH

«Ein neuer Krebsplan hat nur dann einen Nutzen, wenn er auf den Erwartungen der relevanten Stakeholder basiert.»

Eine Ansicht, die Markus Borner von der SGMO und Anne Angelillo-Scherrer von der SGH grundsätzlich teilen. Aus ihrer Sicht muss der Einbezug der Fachspezialistinnen und Fachspezialisten aber verstärkt werden. «Die Oncosuisse ist letztlich fachfremd, was den administrativen Aufwand erhöht und verzögernd wirkt», sagt Borner. «Die richtigen Ansprechpersonen für einen Krebsplan wären die thematisch direkt angesprochenen Fachgesellschaften, Pflege- und Patientenorganisationen.» Und Angelillo-Scherrer ergänzt: «Ein neuer Krebsplan hat nur dann einen Nutzen, wenn er auf den Erwartungen der relevanten Stakeholder basiert.»
Oncosuisse-Präsident Zulian hält dem entgegen, dass die Fachgesellschaften SGMO und SGH ebenso wie der Onkologiepflegeverband OPS bereits Mitglieder von Oncosuisse seien und somit «zentral» in die Arbeit von Oncosuisse involviert.
Es ist deshalb auch nicht so, dass SGMO und SGH gegen eine weitere Zusammenarbeit wären. Doch wäre es aus Sicht von Markus Borner sinnvoll, mit einem Gremium zu arbeiten, das brennende Themen identifizieren und dann direkt an die geeignete Vereinigung ‒ zum Beispiel an eine der onkologischen Fachgesellschaften ‒ weitergibt. Sollten entsprechende Strukturen innerhalb der Oncosuisse etabliert werden, könnte das Forum durchaus eine zentrale Rolle im Aufbau eines neuen Krebsplanes einnehmen. «Die SGMO bietet gemeinsam mit anderen wichtigen Stakeholdern gerne Hand, um diese Veränderungen voranzutreiben», sagt Borner.
Und noch eine ganz andere Herausforderung steht im Raum: Denn das momentane Hauptproblem in Bezug auf die nationale Koordination der Bekämpfung von nichtübertragbaren Krankheiten ist die fehlende rechtliche Grundlage. Dr. Michael Röthlisberger, Geschäftsführer von Oncosuisse, führt aus: «Wir haben alle erlebt, welchen Handlungsspielraum der Bund in Bezug auf die COVID-19 Krise nutzen konnte. Dies rührt daher, dass das Epidemiengesetz ein solches Handeln ermöglicht.» Ein analoges Gesetz für nichtübertragbare Krankheiten fehle jedoch. «Für eine nachhaltige Krebsbekämpfung und deren Koordination wird man nicht umhinkommen, die gesetzlichen Grundlagen zu verbessern, damit der Bund mehr Möglichkeiten hat, die grossen Bemühungen der Krebsorganisationen zu unterstützen», sagt Röthlisberger.

Es fehlen rechtliche Grundlagen für die nationale Koordination der Bekämpfung von nichtübertragbaren Krankheiten.

Gemeinsamen Weg finden

Sollten die involvierten Akteure einen gemeinsamen Weg finden, könnte der Krebsplan in der Schweiz Wirklichkeit werden. Bleibt die Frage, wie so ein Plan genau aussehen soll. Die Ausgangssituation hat sich gegenüber 2014 in verschiedener Hinsicht geändert: Der wissenschaftliche Fortschritt in der Krebsmedizin ist enorm, es existiert ein Trend zur individualisierten Medizin, Forschung und Versorgungsstrukturen müssen sich den neuen Verhältnissen anpassen, zudem besteht ein akuter Fachkräftemangel, die Finanzierung und Regulierung muss den neuen Gegebenheiten angepasst werden, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wichtig sei, dass der Krebsplan sich nicht verzettle, sagt SGH-Präsidentin Angelillo-Scherrer. «Er muss sich auf wenige, konkrete Themengebiete fokussieren, die die Krebsmedizin weiterbringen.» Borner betont, dass messbare Ziele, realistische Budgets und umsetzbare Massnahmen definiert werden müssten. Zu den Kernthemen gehören aus Sicht der SGMO die adäquaten gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen, ein chancengleicher und rascher Zugang zu Innovationen, das Swiss Patient Access Program (SPAP), der Experteneinbezug, Begleitforschung zu den Revisionen von Verordnungen, die personalisierte Medizin sowie der Bürokratieabbau und Fachkräftemangel.
Letztlich gehe es auch um den Forschungsplatz Schweiz, der gerade im Gebiet Onkologie an der Weltspitze mit dabei sei, ergänzt Thomas Cerny. In der Medizin sei die Onkologie seit der Jahrtausendwende zur Paradedisziplin für den medizinischen Fortschritt geworden, und ein nationaler Krebsplan sei eine grosse Chance, diesen Fortschritt effizient und zügig in die Bevölkerung zu bringen. Aber: «Dies geht nur mit einem klaren strategischen Plan und parlamentarischen Auftrag.»
1 Weltgesundheitsorganisation (WHO). Cancer prevention and control in the context of an integrated approach. https://www.who.int/publications/i/item/cancer-prevention-and-control-in-the-context-of-an-integrated-approach (abgerufen am 10.02.2024).
2 Die nationale Dekade gegen Krebs. Europas Plan gegen den Krebs. https://www.dekade-gegen-krebs.de/de/_documents/europas-plan-gegen-den-krebs.html#:~:text=1%2C25%20Milliarden%20Euro%20kommen,Krebs%E2%80%9C%20bilden%20insgesamt%20zehn%20Leitinitiativen (abgerufen am 17.02.2024).
3 Bundesamt für Gesundheit (BAG). Nationale Gesundheitsstrategien. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/strategie-und-politik/nationale-gesundheitsstrategien/nationale-strategie-gegen-krebs-2014-2017.html (abgerufen am 10.02.2024).
4 Die Bundesversammlung – das Schweizer Parlament. Motion SGK-S 23.3014. Nationaler Krebsplan. https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/amtliches-bulletin/amtliches-bulletin-die-verhandlungen?SubjectId=60889
5 Die Bundesversammlung – das Schweizer Parlament. Übersicht über die Verhandlungen. https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/sessionen/uebersicht-ueber-die-verhandlungen (abgerufen am 17.02.2024).
6 Die Bundesversammlung – das Schweizer Parlament. Motion 23.3014. Nationaler Krebsplan. Stellungnahme des Bundesrates vom 19.04.2023. https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20233014 (abgerufen am 17.02.2024).

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