«Es liegt ein weiter Weg vor uns»

«Es liegt ein weiter Weg vor uns»

Wissen
Ausgabe
2024/25
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2024.1457890797
Schweiz Ärzteztg. 2024;105(25):62-63

Publiziert am 19.06.2024

Xenotransplantation
Mitte Mai starb Richard Slayman, der erste lebende Patient, der eine Niere von einem gentechnisch veränderten Schwein transplantiert bekommen hatte. Ende April sprachen wir mit Alban Longchamp, einem Schweizer Chirurgen, der an der Transplantation beteiligt war. Er berichtet von einem «Hoffnungsschimmer», wenn er an die OP zurückdenkt.
«Wenn das Xenotransplantat über längere Zeit hält, könnte dieses Beispiel unsere Herangehensweise an Transplantationen radikal verändern», sagt Dr. med. Alban Longchamp. Am 16. März dieses Jahres war er an der ersten Transplantation einer gentechnisch veränderten Schweineniere bei einem lebenden Patienten im Massachusetts General Hospital (MGH) in Boston beteiligt.
Zwei Monate später, am 12. Mai, wurde der Tod des Patienten vom MGH bekannt gegeben: «Es gibt keine Hinweise darauf, dass dies eine Folge seiner jüngsten Transplantation ist.» Die medizinische Einrichtung fügte hinzu: «Slayman wird immer als Hoffnungsschimmer für unzählige Transplantationspatienten und -patientinnen auf der ganzen Welt in Erinnerung bleiben.» Dieser Gedanke zeichnete das Gefühl der fünf Chirurgen im OP während des besagten Tages. Der Tag begann um fünf Uhr morgens mit der Entnahme der Niere aus dem eigens präparierten Yucatan-Schwein und endete am Abend nach einer vierstündigen Operation.
Der Patient, Richard Slayman, war 62 Jahre alt und litt an chronischer Niereninsuffizienz im Zusammenhang mit Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck. Er hatte 2018 eine menschliche Niere transplantiert bekommen, die 2023 erste Anzeichen von Versagen zeigte, sodass er wieder zur Dialyse gezwungen war. Diese war jedoch aufgrund von Problemen mit dem Gefässzugang für die Blutfiltration, die zusätzlich die Transplantation erschwerten, schwierig geworden.
Nachdem Sie seit Ihrer Ankunft am MGH über 100 Nierentransplantationen durchgeführt haben, beherrschen Sie die Transplantationstechniken. War die Transplantation vom 16. März besonders, weil sie von einem Schwein stammte?
Alban Longchamp: Was die Techniken angeht, nein. Die Techniken, die zur Transplantation einer menschlichen oder Schweine-Niere verwendet werden, sind identisch. Was sich leicht unterscheidet, ist die Qualität des Gewebes und die Anatomie der Gefässe. Die Arterien des Tieres sind faseriger, die Venen zerbrechlicher. Und der Harnleiter ist kleiner. Der Fall an sich war heikel, da der Patient eine Arteriosklerose in einem fortgeschrittenen Stadium aufwies. Aber das ist eine Problematik, mit der wir umgehen können.
Die Operation war nicht harmlos. Das Ereignis war einzigartig und es war mit höherem Stress als normalerweise verbunden. Einige von uns, wie Prof. Dr. med. Tatsuo Kawai, der für die Transplantation verantwortlich war, haben ihre Karriere dem Fortschritt der Xenotransplantation gewidmet. Wir haben uns lange auf dieses Datum vorbereitet, aber kann man hundertprozentig sicher sein, dass ein Transplantat anwachsen wird? Es war eine Erleichterung zu sehen, als sich die Niere wieder verfärbte.
Herr Slayman konnte am 3. April, 15 Tage nach der Operation, nach Hause gehen. Dr. Riella vom MGH wurde in der New York Times zitiert und sagte, dass er erste Anzeichen von Abstossungsreaktionen zeige.
Das ist richtig. Es handelte sich um eine akute Abstossung vom Zelltyp, die nach acht Tagen auftrat. Dies ist eine häufige Form der Abstossung bei menschlichen Organtransplantationen. Der Patient wird dabei mit wirksamen Immunsuppressiva behandelt [1]. Diese Beobachtung war jedoch eine kleine Überraschung, da wir dachten, dass er besser geschützt sei. Die Niere, die von der Firma eGenesis [2] zur Verfügung gestellt wurde, stammte von einem Schwein, das mithilfe der Crispr-Cas9-Technologie 69 genomische Veränderungen erfahren hatte. Einige davon bestanden darin, Sequenzen, die endogene Schweine-Retroviren (PERV) enthalten, aus dem Genom zu entfernen, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Vor allem aber wurden drei Gene ausgeschaltet, die für Schweinezucker kodieren und vom Empfänger aufgespürt werden könnten, während sieben menschliche Gene hinzugefügt wurden, um die Kompatibilität mit unserer Spezies zu erhöhen. Eine 2023 erschienene Studie [3] zeigte, dass die Lebensdauer von Primaten, die mit einer Schweineniere transplantiert wurden, mehr als zwei Jahre betragen konnte.
Im Jahr 2022 veröffentlichten Sie in der Zeitschrift Frontiers in Immunology einen Artikel [4], in dem Sie die Ansicht vertraten, dass die Xenotransplantation in ein «neues Zeitalter» eintrete. Ist diese Operation ein Beispiel dafür?
Auf jeden Fall ist es ein wichtiger Schritt für die Forschung auf diesem Gebiet. Wenn die Xenotransplantation über einen längeren Zeitraum hinweg Bestand hat, könnte dieses Beispiel unsere Herangehensweise an die Organtransplantation radikal verändern. Mit einem leicht zugänglichen Transplantat von Schweinen könnte man erwägen, die Xenotransplantation gewissermassen auf die gleiche Weise durchzuführen, wie man ein Medikament verabreicht. Dies würde Patientinnen und Patienten mit Nierenversagen eine erhebliche Erleichterung bringen. Diese Art von Eingriff könnte entweder als Überbrückung für eine spätere Allotransplantation oder dauerhaft angeboten werden. Es liegt jedoch noch ein weiter Weg vor uns. Die Operation von Richard Slayman wurde von den US-amerikanischen Behörden (FDA) im Rahmen eines Compassionate Use genehmigt. Der nächste Schritt wäre, das Xenotransplantat im Rahmen von klinischen Studien und in grösserem Umfang zu testen.
Am 24. April gab das New York Hospital bekannt, dass es gelungen war, eine Schweineniere und einen Thymus bei einer Patientin mit Herzinsuffizienz zu transplantieren [5].
Die US-amerikanischen Krankenhäuser sind in diesem Bereich sehr dynamisch, was auf ein besonders günstiges Umfeld zurückzuführen ist: eine über Jahrzehnte aufgebaute Spitzenforschung, fruchtbare Partnerschaften mit der Industrie und eine proaktive Regulierungsbehörde. Die USA haben die ersten positiven Ergebnisse im Bereich der Xenotransplantation erzielt, darunter zwei lebende Patienten, denen 2022 ein Herz von einem gentechnisch veränderten Schwein transplantiert wurde. Die USA sind allen anderen fast zehn Jahre voraus. In der Schweiz verfolgen wir das sehr genau. Eines meiner Ziele wäre es natürlich, diese Praxis auch bei uns voranzutreiben.
Dr. med. Alban Longchamp Der Oberarzt der Abteilung für Gefässchirurgie am Universitätsspital Lausanne ist von der Schweizer Institution beurlaubt, um sich in den USA zum Transplantationschirurgen ausbilden zu lassen. © Gilles Weber, SAM CHUV

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