Die integrierte Versorgung braucht keine neue KVG-Regulierung

Die integrierte Versorgung braucht keine neue KVG-Regulierung

Aktuell
Ausgabe
2024/21
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2024.1470465721
Schweiz Ärzteztg. 2024;105(21):

Affiliations
a Lic.rer.pol., Executive M.B.L.-HSG, Vorstand medswissnet, b Vizepräsident der FMH, Departementsverantwortlicher Daten, Demographie und Qualität

Publiziert am 22.05.2024

Massnahmenpaket 2
Das Krankenversicherungsgesetz (KVG) hält eine breite Palette an Instrumenten und Anreizen bereit, um die integrierte Versorgung effizienter zu gestalten. Die relevanten Stakeholder und Anbieter der integrierten Versorgung konnten aufzeigen, dass der «Netzwerkartikel» als KVG-Vehikel für einen neuen Leistungserbringer keinen Mehrnutzen stiften wird.
Politik und Regulator sind auf der Suche nach Ansätzen und Regulierungslücken, um die integrierte Versorgung und die interprofessionelle Zusammenarbeit noch stärker zu fördern. Von einer optimalen Betreuung chronisch kranker Menschen, der Stärkung der Prävention, der Sicherstellung des Datenflusses über den ganzen Behandlungsprozess und der Vermeidung unnötiger Untersuchungen erhofft man sich grosse Einsparpotenziale. Effizienz- und Qualitätsvorteile, die seit Jahrzehnten in alternativen Versicherungsmodellen (AVM) untersucht und auch nachgewiesen werden, sollen nun zu nachhaltigen Kosteneinsparungen im Gesamtsystem beitragen.

Das heutige KVG bietet den Akteuren und Tarifpartnern bereits umfassende Instrumente zur integrierten Versorgung.

Mit dieser Begründung hatte der Bundesrat den sogenannten «Netzwerkartikel» als neues KVG-Vehikel lanciert. Die relevanten Stakeholder und Anbieter der integrierten Versorgung konnten an Hearings aufzeigen, dass dieser neue Leistungserbringer als neues eigenes Silo keinen Mehrnutzen stiften wird. Deshalb distanzierte sich der Nationalrat von diesem Ansatz. Doch das Narrativ, dass es für eine optimale integrierte Versorgung einen neuen Leistungserbringer brauche, der umfassende Leistungen unter einem Dach bündelt, hält sich hartnäckig. Die Gesundheitskommission des Ständerats hat den bundesrätlichen Vorschlag reaktiviert – notabene ohne die etablierten Player der integrierten Versorgung anzuhören. Dabei geht vergessen, dass das heutige KVG den Akteuren und Tarifpartnern bereits umfassende Instrumente zur Verfügung stellt. So können im aktuellen Setting innovative Versorgungsmodelle entwickelt und bestehende ausgebaut werden. An dieser Stelle soll deshalb in Erinnerung gerufen werden, welche umfassenden und integrierten Versorgungskonzepte das KVG bereits heute ermöglicht:
  • Die Versicherer fördern die Verhütung von Krankheiten zusammen mit den Kantonen und mit der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz gemäss Art. 19 und 20 KVG.
  • Die medizinische Prävention ist in Art. 26 KVG verankert und sieht Früherkennung und vorsorgliche Massnahmen explizit vor.
  • Als Leistungserbringer im Sinne des KVG sind gemäss Art. 35 Abs 2e auch Organisationen aller Art vorgesehen, die Gesundheitsfachpersonen beschäftigen, die auf Anordnung oder im Auftrag der Ärztin oder des Arztes Leistungen erbringen.
  • Die Tarifpartner können Patientenpauschalen oder Pauschalen für ein Versichertenkollektiv vereinbaren (Art. 43 KVG).
  • Das KVG lässt gemäss Art. 59b Pilotprojekte zu, insbesondere auch in der Notfallversorgung, für Modelle mit eingeschränkter Wahl des Leistungserbringers (AVM), für eine einheitliche Finanzierung, zur Förderung der koordinierten und integrierten Versorgung, zur Stärkung der Qualität und zur Förderung der Digitalisierung.
  • Die Kostenbeteiligung kann gemäss Art. 64 Abs. 6 differenziert ausgestaltet werden beziehungsweise es kann sogar auf die Erhebung der Kostenbeteiligung verzichtet werden (für AVM oder auf Präventionsleistungen).

Im aktuellen Setting können innovative Versorgungsmodelle entwickelt und bestehende ausgebaut werden.

Wir brauchen nicht neue Inseln mit Fragmentierung der Leistungserbringerlandschaft, wir brauchen Brücken! Die massgeblichen Akteure im Gesundheitswesen sind sich einig, dass die einheitliche Finanzierung (EFAS) das Denken in Behandlungsketten fördern wird. Ebenso positiv ist die Wirkung des differenzierten Risikoausgleichs, der den Fokus der Versicherer auf die optimale Betreuung chronisch kranker Menschen lenkt. Bevor bereits wieder neu reguliert wird, sollten die Auswirkungen dieser Reformen genau analysiert werden. Zudem stehen aktuell konkrete Verbesserungsvorschläge für die alternativen Versicherungsmodelle zur Debatte: Gemäss Motion 23.3502 sollen die alternativen Versicherungsmodelle im KVG ihre Kostenvorteile vollständig in Form einer attraktiven Netto-Prämie an die Versicherten weitergeben können. Ausserdem muss präzisiert werden, dass die Versicherer die Abrechnungsdaten der Versicherten auch den Ärztenetzen zur Verfügung stellen können, damit diese damit wiederum kostendämpfende Massnahmen und Empfehlungen für ihre betroffenen Patientinnen und Patienten ableiten können, beispielsweise zur Verschreibung günstiger Medikamente oder für den Zugang zu sinnvollen Präventionsleistungen.
info[at]medswissnet.ch

© Steve Roberts / Dreamstime

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