Kardiologie
Eine neue Generation von bioresorbierbaren Stents ist auf dem Markt. Im Gegensatz zu Metallstents bauen sich diese auf Magnesium basierenden Gefässstützen allmählich ab. Der entscheidende Vorteil: Nach zwölf Monaten sind die damit behandelten Gefässe frei von jeglichen Fremdkörpern.
Dieser Stent bleibt so lange im Körper wie nötig ‒ und löst sich dann auf.
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Nach der Implantation des ersten Metallstents im Jahr 1986 durch Jacques Puel, markiert das Jahr 2002 eine weitere Revolution in der Geschichte der interventionellen Kardiologie mit der Einführung des ersten medikamentenfreisetzenden Stents (drug-eluting stent, DES). Dieser sogenannte «aktive» Stent bietet nicht nur eine mechanische Unterstützung für die Arterie, sondern ist auch mit einem Polymer beschichtet, das ein antiproliferatives Medikament enthält. Somit sollen Entzündungen und erneute Verengungen der Koronararterie verhindert werden.
«Leider weisen Patienten, die eine Koronarangioplastie mit aktiven Metallstents der neusten Generation erhalten haben, eine langfristig anhaltende kardiovaskuläre Ereignisrate von 2-5% auf», sagt der interventionelle Kardiologe Juan F. Iglesias. Und das, obwohl sich die Technologie in den letzten Jahren stark weiterentwickelt habe. Der stellvertretende Leitende Arzt der Abteilung für interventionelle Kardiologie am Universitätsspital Genf (HUG) setzt deshalb auf einen neuen Stent-Typ. Mitte März 2024 implantierte er einen vollständig resorbierbaren Magnesiumstent – eine Premiere am HUG.

Eine metallfreie Behandlung

Die Idee ist nicht neu. In den letzten Jahren wurden mehrere Generationen von bioresorbierbaren Koronarstents oder «Scaffolds» auf den Markt gebracht. Ihr Ziel ist es, die mit permanenten Metallimplantaten verbundenen Komplikationen wie Überempfindlichkeitsreaktionen, verzögerte arterielle Wundheilung und Neoatherosklerose zu verringern, da diese das Risiko einer späten Stentthrombose und Restenose erhöhen [1]. Zunächst fungieren diese Stents als strukturelle Stütze der Arterienwand, werden aber nach und nach abgebaut. «Dies ermöglicht es der Koronararterie, ihre physiologische Pulsatilität und Vasomotorik wiederzuerlangen, indem sie schrittweise von potenziell entzündlichen Fremdkörpern befreit wird», erklärt Iglesias.
2011 stellte die Firma Abbott Vascular den ersten Scaffold dieser Art vor. Der bioresorbierbare aktive Stent namens ABSORB BVS (Bioresorbable Vascular Scaffold) bestand aus einem Milchsäurepolymer, das mit dem Wirkstoff Everolimus beschichtet war, um die Restenose zu verhindern. In klinischen Studien zeigten sich jedoch enttäuschende Ergebnisse: «Im Vergleich zu einem aktiven Stent der neusten Generation erhöhte sich das Risiko einer Stentthrombose mit dem aktiven Scaffold ABSORB BVS um den Faktor 3 bis 4. Diese Erhöhung blieb auch bei der Langzeitbeobachtung bestehen», erläutert Iglesias. Eine Sicherheitswarnung der Food and Drug Administration (FDA) und eine im New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie [2] zwangen den Hersteller, sein Produkt 2017 weltweit vom Markt zu nehmen. «Obwohl das Prinzip ‘leave nothing behind’ vielversprechend ist, haben die Ergebnisse dieser Studie berechtigte Bedenken hinsichtlich der Sicherheit bioabsorbierbarer Stents aufgeworfen», sagt Pascal Meier, interventioneller Kardiologe am Kantonsspital Freiburg (HFR).

Fast vollständige Resorption binnen 12 Monaten

Der bioresorbierbare Stent DREAMS 3G, der von Biotronik entwickelt wurde, weist seinerseits gute Resultate in Bezug auf Sicherheit und Leistung auf. Dies geht aus der BIOMAG-I-Studie hervor, die im April 2023 in The Lancet eClinicalMedicine veröffentlicht wurde [3]. Die Kardiologieabteilung des HUG nahm als einziges Schweizer Zentrum unter 14 europäischen Zentren an dieser prospektiven Studie teil. «Wir führten 6 und 12 Monate nach der Implantation eine intrakoronare Bildgebung zur Nachuntersuchung durch. Bei den Patienten, die mit DREAMS 3G behandelt wurden, beobachteten wir eine fast vollständige Resorption des Magnesium-Stents ein Jahr nach der Implantation», berichtet Iglesias, der auch als Berater für die Firma Biotronik fungiert. Laut dem interventionellen Kardiologen wurden nach einem Jahr Nachbeobachtung keine schwerwiegenden kardiovaskulären Ereignisse, das heisst keine Todesfälle, Herzinfarkte oder Stentthrombosen beobachtet.
OCT-Bilder zeigen, wie sich der Magnesiumstent innerhalb von 12 Monaten auflöst.
© courtesy of Prof. M. Haude, Neuss, Germany
Das Profil der Person, die im März dieses Jahres behandelt wurde, entsprach den Einschlusskriterien für Patientinnen und Patienten, die an der BIOMAG-I Studie teilnahmen. «Es handelte sich um eine 68-jährige Patientin, die an Angina pectoris litt. Die Koronarangiographie zeigte eine einzelne Läsion in einem Ast der Arteria circumflexa, die wir mit einem bioresorbierbaren Magnesiumstent mit einem Durchmesser von 3 mm und einer Länge von 22 mm behandelten», berichtet der Spezialist für interventionelle Kardiologie am HUG. Laut Iglesias ist ein möglichst junges biologisches Alter ein wichtiges Kriterium, ebenso wie das Vorhandensein einer relativ einfachen, einzelnen und kurzen Läsion ohne Bifurkationsläsionen. Meier stimmt dem zu: «Dieser Scaffold ist für einfachere Läsionen ohne grosse Tortuosität geeignet.» Nachdem er im März dieses Jahres die schweizweit erste Implantation des DREAMS 3G Stents am HFR vornahm, ist der Kardiologe der Ansicht, dass resorbierbare Stents «in distalen Gefässen bei jungen Patientinnen und Patienten besonders vorteilhaft sein könnten». Dies vor allem, da somit eine spätere Bypass-Operation möglich bleibe.

Gewisse Einschränkungen sind zu beachten

Die Implantation dieses biologisch abbaubaren Stents erfordert nach Ansicht von Juan F. Iglesias eine sorgfältigere Vorbereitung der Läsion. Denn: «Ein Magnesiumstent hat eine etwas geringere Ausdehnungskraft als ein Metallstent.»
Aus demselben Grund wird diese Art von Stents nicht für zu harte Läsionen verwendet, betont Meier: «Bei stark verkalkten Läsionen, bei ostialen und Hauptstammstenosen und bei tortuösen Gefässen bleiben Metallstents vorerst die erste Wahl, da sie eine dauerhafte mechanische Stabilität bieten.» Ein weiterer Nachteil sei, dass die Kosten für bioresorbierbare Stents derzeit wesentlich höher sind als die für herkömmliche Stents.
Im Mai hat das HUG den weltweit ersten Patienten in die internationale randomisierte kontrollierte Studie BIOMAG-II aufgenommen [4]. 1859 Probanden werden fünf Jahre lang beobachtet, um den Magnesiumstent mit dem derzeitigen Goldstandard, einem aktiven Metallstent, zu vergleichen.
1 Galli S, Testa L, Montorsi P et al. SICI-GISE Position Document on the Use of the Magmaris Resorbable Magnesium Scaffold in Clinical Practice. Cardiovasc Revasc Med. 2022 Jan;34:11-16. DOI: https://doi.org/10.1016/j.carrev.2021.02.003
2 Wykrzykowska J, Kraak R, Hofma S et al. Bioresorbable Scaffolds versus Metallic Stents in Routine PCI, N Engl J Med 2017;376:2319-2328. DOI : https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1614954
3 Haude M, Wlodarczak A, van der Schaaf R et al. Safety and performance of the third-generation drug-eluting resorbable coronary magnesium scaffold system in the treatment of subjects with de novo coronary artery lesions: 6-month results of the prospective, multicenter BIOMAG-I first-in-human study, eClinicalMedicine vol. 59, may 2023. DOI: https://doi.org/10.1016/j.eclinm.2023.101940
4 https://clinicaltrials.gov/study/NCT05540223?cond=BIOMAG&rank=2

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