Dr. S. praktiziert seit vielen Jahren in einem Dorf. Er ist grün, aber seine Frau ist noch viel grüner und hängt Poster und Flaggen an die Hauswand. Gerade jetzt sitzt in der Sprechstunde der Landrat P., Vertreter jener Volkspartei, mit der S. das Heu absolut nicht auf der gleichen Bühne hat. Über die Jahre hat sich Dr. S. als Arzt bei den Leuten einen guten Namen gemacht und dem Politiker P. ist ein «tüchtiger Grüner» lieber als ein Nichtsnutz aus der gleichen Partei (Zitat P.) Da sitzen sie also in der klösterlichen Abgeschiedenheit des Sprechzimmers, seiner Mönchszelle, wie S. lachend sagt, und die Welt um sie herum, die Streitereien und die Gehässigkeiten bleiben für 20 Minuten draussen. Bei P. hat man vor ein paar Jahren ein lokalisiertes Prostatakarzinom entdeckt, operiert und nachbestrahlt und P. ist überzeugt, dass ihm S. damals das Leben gerettet hat. Dieser winkt jeweils ab, aber insgeheim freut es ihn doch. Bei der nächsten Abstimmung werden die zwei sicher nicht der gleichen Meinung sein. Was Dr. S. in der langen Zeit seiner Tätigkeit im Dorf aber gelernt hat: Wenn man ein zuverlässiger Arzt ist, die Sprache der Leute spricht, sie als Menschen annimmt, dann «kann man es durchaus miteinander». Das wäre doch, findet der Arzt, ein Modell für das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen Meinungen.