Austrittsberichte, Benzodiazepin-Neuverschreibungen, Stürze, Transfusionen, CIRS, Hepatitis-B-Impfschutz

Umsetzung von Qualitätsindikatoren im stationären Bereich: das Hôpital de la Tour in Genf

News
Ausgabe
2023/08
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2023.10730
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2023;23(08):228-231

Affiliations
a Service de médecine interne, Hôpital de la Tour, Meyrin-Genève; b Département qualité et expérience patient, Hôpital de la Tour, Meyrin-Genève; c Département de recherche clinique, Hôpital de la Tour, Meyrin-Genève; d Unité de business intelligence, Hôpital de la Tour, Meyrin-Genève; e Direction générale, Hôpital de la Tour, Meyrin-Genève; f Mitglied der Qualitätskommission der SGAIM

Publiziert am 02.08.2023

Einleitung

Die Qualität in der Medizin hat Einzug in die Agenda der Gesundheitspolitik gehalten: Der Bundesrat hat mit dem Inkrafttreten einer neuen Verordnung zum KVG Ziele für die Gewährleistung der Qualität von Leistungen festgelegt. Das Schweizer Parlament hat alle im Land tätigen Ärztinnen und Ärzte verpflichtet, an den Massnahmen zur Qualitätsentwicklung und den Qualitätsmessungen teilzunehmen, welche die Verbände der Leistungserbringer und der Versicherer in ihren Qualitätsverträgen definiert haben.
Die Versorgungsqualität ist nämlich nicht nur innerhalb der Ärzteschaft zunehmend von Bedeutung, sondern auch in der Öffentlichkeit und bei den Versicherern.
Daher haben die FMH und die Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) beschlossen, auf proaktive Weise mit der Umsetzung dieser neuen gesetzlichen Anforderung zu beginnen, um sicherzustellen, dass diese verpflichtenden Qualitätsaktivitäten in der Praxis anwendbar sind, sich in die bisherigen Qualitätsaktivitäten einfügen und den Patientinnen und Patienten den grösstmöglichen Nutzen bringen. Im Rahmen des gemeinsam mit der FMH und den Versicherern durchgeführten Pilotprojekts «Veröffentlichung der Qualitätsaktivitäten der ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte» hat die SGAIM vier Qualitätsaktivitäten ausgewählt (Tab. 1). Sie hat zudem alle im ambulanten Sektor tätigen Mitglieder aufgefordert, auf transparente Weise die Qualitätsaktivitäten zu veröffentlichen, welche die Ärztinnen und Ärzte in ihrer täglichen Praxis umsetzen.
Tabelle 1: Von der SGAIM ausgewählte Qualitätsaktivitäten
1. Teilnahme an Qualitätszirkeln
2. Top-5-Liste «smarter medicine»
3. Hygiene
4. Fehlerberichtssystem («Critical Incident Reporting System»)
Die Qualitätskommission der SGAIM hat auch eine Vorreiterrolle gespielt, indem sie zum ersten Mal die neuen Qualitätsindikatoren für die stationäre Behandlung in der Allgemeinen Inneren Medizin präsentiert hat [1]. Diese Arbeit wurde von der Schweizerischen Akademie für Qualität in der Medizin (SAQM) mit dem Preis «Innovation Qualité» honoriert, mit dem praxiserprobte Projekte prämiert werden, die eine Weiterentwicklung des Gesundheitssystems ermöglichen.

Qualitätsindikatoren

Die SGAIM hat sechs Empfehlungen für die stationäre Medizin veröffentlicht und dabei erläutert, wie sie angewendet werden können und wo ihre Vor- und Nachteile liegen [1]. Das Projektteam der SGAIM hat anhand konkreter Beispiele den Einsatz von Qualitätsindikatoren in einem Qualitätsverbesserungszyklus veranschaulicht, der darauf abzielt, die patientenzentrierte Diagnose zu fördern und die Behandlung zu optimieren.
Vier Indikatoren widmen sich der patientenzentrierten Versorgungsqualität:
Anteil provisorischer Austrittsberichte, die innerhalb von 24 Stunden dem nachbehandelnden Arzt bzw. der nachbehandelnden Ärztin übermittelt werden, mit Angaben über Diagnosen, Prozedere und Medikamente. Der Indikator hat zum Ziel, dem nachbehandelnden Arzt bzw. der nachbehandelnden Ärztin die wichtigsten Informationen schnell zuzustellen, um die Weiterbehandlung sicherzustellen und die Zahl der vermeidbaren Hospitalisierungen zu verringern.
Anteil älterer Personen (≥65 Jahre), bei denen während des Spitalaufenthalts eine Therapie mit einem Benzodiazepin neu begonnen wird. Der Indikator hat zum Ziel, Benzodiazepin-Neuverschreibungen im Spital zu verringern, um die damit verbundenen Nebenwirkungen zu vermeiden.
Anteil älterer Personen (≥65 Jahre), die danach gefragt werden, ob und, wenn ja, wie oft (Anzahl) und in welcher Weise (Sturzhergang) sie in den letzten 12 Monaten gestürzt sind. Der Indikator hat zum Ziel, Patienten und Patientinnen mit einem erhöhten Sturzrisiko zu identifizieren, bei denen eine präventive Intervention sinnvoll ist.
Anteil der Patientinnen und Patienten mit einer Transfusion bei einem Hämoglobin-Wert von >8 g/dl. Der Indikator hat zum Ziel, die Zahl der Transfusionen, die potenziell nicht indiziert sind, zu reduzieren.
Ein weiterer Indikator bezieht sich auf die allgemeine Versorgungsqualität:
Anteil der gemeldete Zwischenfälle («Critical Incidence Reporting System» [CIRS]) bei auf der Allgemeinen Inneren Medizin (AIM) hospitalisierten Personen, die analysiert und diskutiert werden. Ziel des Indikators ist es, eine aktive Fehlerkultur mit Analyse und Diskussion von CIRS-Fällen zu stimulieren.
Gegenstand eines weiteren Indikators ist die Mitarbeitendengesundheit:
Anteil der Mitarbeitenden der AIM, die potenziell mit Blut oder blutkontaminierten Materialien in Kontakt kommen und einen ausreichenden Hepatitis-B-Impfschutz aufweisen. Der Indikator hat zum Ziel, Hepatitis-B-Übertragungen am Arbeitsplatz zu verhindern und die Arbeitsplatzsicherheit zu verbessern.
Das Ziel der Indikatoren soll in erster Linie sein, einen Qualitätsverbesserungszyklus zu begleiten und zu messen, ob die durchgeführten Massnahmen auch zum gewünschten Effekt führen. Der Qualitätskommission der SGAIM kam es vor allem darauf an, dass die Indikatoren alltagstauglich sind, um die Massnahmen zur Steigerung der Qualität in der AIM zu unterstützen.
Die Grundvoraussetzung ist jedoch, dass Methoden für die verlässliche Messung geschaffen werden. Damit viele der Indikatoren erfasst werden können, müssen Klinikinformationssysteme angepasst und Ergebnisse systematisch und einheitlich erhoben werden. Ferner ist es obligat, dass die für die Qualitätsmessung notwendigen personellen und finanziellen Ressourcen vollständig berücksichtigt werden. Nachstehend berichten wir von der Erfahrung bei der Umsetzung der Indikatoren in der Abteilung Stationäre Innere Medizin am Hôpital de la Tour im Kanton Genf.

Hôpital de la Tour

Das Hôpital de la Tour ist ein Privatspital am nördlichen Rhôneufer im Kanton Genf. Von den 172 Betten gehören 64 zur Abteilung für Innere Medizin. Dort wird ein Weiterbildungsprogramm «Allgemeine Innere Medizin» angeboten (SIWF-Kategorie A), an dem derzeit 23 Assistenzärztinnen und -ärzte in Ausbildung, 2 Oberärztinnen und -ärzte sowie 6 Kaderärztinnen und -ärzte beteiligt sind.
Das Hôpital de La Tour hat die Versorgungsqualität als strategischen Schwerpunkt definiert und erfüllt stets die Anforderungen des Nationalen Vereins für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken (ANQ), wie die periodischen Qualitätsberichte des Spitals zeigen.
In jüngerer Vergangenheit hat sich das Hôpital de la Tour der gemeinnützigen Organisation «smarter medicine» angeschlossen und das Label «Smarter Hospital» erhalten, wodurch seine Massnahmen gegen Über- und Fehlbehandlung in der Medizin anerkannt werden [2]. Zu diesem Zweck wurden Dashboards eingeführt, um das Verschreibungsverhalten in der Abteilung für Innere Medizin zu evaluieren («smarter indicateurs»). So können die Ärztinnen und Ärzte ihre Rate an möglicherweise nicht notwendigen Verschreibungen nachvollziehen und mit jener ihrer Kolleginnen und Kollegen vergleichen. Eine aktuelle Studie zur Bewertung dieser multimodalen pädagogischen Massnahme zeigte eine signifikante Verringerung der Benzodiazepin-Verschreibungen und Blutabnahmen [3].

Dashboards und Geschäftsanalytik

Die Dashboards werden mit Rohdaten gespeist, die monatlich den elektronischen Patientendossiers entnommen werden. Die Exporte umfassen diverse Tabellen, die jeweils die Verschreibungen einer Art von medizinischer Intervention enthalten (Arzneimittel, Laboruntersuchung, Bildgebung, Einsatz von Medizinprodukten). Das Dashboard importiert die Rohdaten und verarbeitet sie gemäss den Spezifikationen des angewandten Datenmodells. Grundsätzlich werden die Daten der verschiedenen Rohtabellen zu einer einzigen Verschreibungstabelle zusammengefasst, die zeitliche Komponente wird auf Grundlage des Datums der Beendigung jeder medizinischen Versorgungsmassnahme integriert. Die Aktualisierung des Dashboards wird also einmal im Monat manuell durchgeführt.
Das Dashboard wird auf einer Internet-Plattform angeboten, die nur jenen Mitgliedern des Spitalpersonals zugänglich ist, denen zuvor das Zugriffsrecht gewährt wurde. Über das VPN des Spitals kann es darum jederzeit konsultiert werden, sofern eine Internet-Verbindung besteht. Die Daten werden anonymisiert, und die Vertraulichkeit ist ab dem Zeitpunkt ihrer Erhebung und Verarbeitung durch die für die Dashboards verantwortliche Person garantiert. Die Daten sind auf einer Geschäftsanalytik-Plattform verfügbar, damit die Ergebnisse leichter analysiert und im Standardformat exportiert werden können. Im Zuge des Kopiervorgangs wird jegliche Information gelöscht, die zur Identifizierung einer Patientin oder eines Patienten führen könnte.

Umsetzung der Indikatoren

Auf die gleiche Weise wie für die «smarter indicateurs» haben wir die Umsetzung der von der SGAIM vorgeschlagenen Qualitätsindikatoren untersucht und die ersten Ergebnisse analysiert.

1. Anteil provisorischer Austrittsberichte, die innerhalb von 24 Stunden dem nachbehandelnden Arzt oder der nachbehandelnden Ärztin übermittelt werden

Die Einführung und wirksame Umsetzung eines derartigen Indikators erfordert eine IT-Entwicklungsarbeit, an der mehrere Abteilungen und Partner beteiligt sind. Zu diesem Zweck haben wir das Projekt in zwei Phasen aufgeteilt:
– Phase 1: Lösung für die Übermittlung des Austrittsberichts an den nachbehandelnden Arzt oder die nachbehandelnde Ärztin;
– Phase 2: Lösung für die zuverlässige Erfassung der Zahl der übermittelten Austrittsberichte unter Berücksichtigung des 24-h-Kriteriums.
Die erste Phase wurde bereits umgesetzt. Den Internistinnen und Internisten steht eine IT-Lösung zur Verfügung, um den nachbehandelnden Kolleginnen und Kollegen die wichtigsten Angaben über den Spitalsaufenthalt und die Organisation des Austritts automatisch, rasch und unkompliziert zu übermitteln.
Um einen «lebendigen», leicht zugänglichen Indikator mit verbesserter Animation zu konstruieren, wird derzeit eine ausgefeiltere Software-Lösung entwickelt.

2. Anteil älterer Personen (≥65 Jahre), bei denen während des Spitalaufenthalts eine Therapie mit einem Benzodiazepin neu begonnen wird

In unseren drei Abteilungen für Innere Medizin haben wir zunächst einen dynamischen Indikator eingeführt, durch den wir die Rate der Benzodiazepin-Verschreibungen bei über 65-Jährigen und ihre zeitliche Entwicklung verfolgen konnten.
Anschliessend haben wir ihn auf Wirkstoffe erweitert, die als Alternative zu Benzodiazepinen dienen (etwa Z-Substanzen, Neuroleptika). Diese Massnahme zielte darauf ab, es den Verschreibenden zu ermöglichen, sich auf möglichst korrekte Weise selbst zu bewerten, weniger Benzodiazepine zu verschreiben und Alternativen mit ähnlichen Nebenwirkungen (Z-Substanzen) zu vermeiden. Wir haben festgestellt, dass 2021 28% unserer älteren Patientinnen und Patienten Benzodiazepine oder Alternativen erhielten. Dass die Verschreibenden für die Indikatoren sensibilisiert wurden und sie sich zu eigen machten, hat wohl dazu beigetragen, dass dieser Anteil mit der Zeit gesunken ist (19% im Dezember 2021) (Abb. 1).
Abbildung 1: Entwicklung der Rate der Verschreibungen von Benzodiazepinen (blau) und ihren Alternativen (Z-Substanzen, Neuroleptika; rot) im Jahr 2021.

3. Anteil älterer Personen (≥65 Jahre), die danach gefragt werden, ob sie in den letzten 12 Monaten gestürzt sind

Die Abteilungen für Innere Medizin verfügen über das elektronische Patientendossier (EPD). Das System besteht aus Modulen mit identischen Parametern in den verschiedenen Abteilungen, was stark zur Standardisierung der Arbeitsmethoden und Versorgungspraktiken beiträgt.
Unser EPD bietet ein Modul zur umfassenden Evaluierung bei der Aufnahme.
Die Daten stehen also in unserem Informationssystem zur Verfügung und sind verlässlich. Derzeit wird an einem Indikator gearbeitet, der es ermöglicht, die Antworten auf die Frage nach allfälligen Stürzen bei über 65-Jährigen mit der Gesamtzahl der Hospitalisierungen in derselben Population abzugleichen. Der Animationsprozess ist für Mitte 2023 geplant.

4. Anteil der Patientinnen und Patienten mit einer Transfusion bei einem Hämoglobin-Wert von >8 g/dl

Auf der Seite für die Verschreibung einer Transfusion des EPD wurde ein blockierendes Pflichtfeld eingeführt. Die verschreibende Person wird dabei aufgefordert, den jüngsten bekannten Hämoglobin-Wert einzutragen. Dann wird eine Nachricht angezeigt, die das Bewusstsein schärfen und an den Grenzwert für Transfusionen erinnern soll (Abb. S2, s. Online-Appendix). Die eingetragenen Daten wurden gesammelt, um damit den Indikator im Innere-Medizin-Dashboard zu entwickeln (Abb. S3, s. Online-Appendix).
Zwischen 2021 und 2022 betrug die Rate unangemessener Transfusionsverschreibungen (>8 g/dl) in den Abteilungen für Innere Medizin durchschnittlich 10,8% (Abb. S4, s. Online-Appendix). Ebenso wie für die anderen «smarter medicine»-Indikatoren erwarten wir eine Abnahme dieser Rate infolge unseres pädagogischen Ansatzes, der auf kontinuierliche Selbstbewertung setzt.

5. Anteil der gemeldeten Zwischenfälle («Critical Incidence Reporting System» [CIRS]) bei auf der Allgemeinen Inneren Medizin (AIM) hospitalisierten Personen, die analysiert und diskutiert werden

Das Hôpital de la Tour verfügt über ein System zur Meldung unerwünschter Ereignisse (UE), das auf einer strukturieren und standardisierten Datenfluss-Architektur innerhalb eines Dokumentenverwaltungs- und Rückverfolgbarkeits-Tools beruht. Das System bewertet schwerwiegende oder nicht schwerwiegende UE aufgrund definierter Kriterien und bietet so eine Entscheidungshilfe für die eingehende, mit einem multidisziplinären Aktionsplan kombinierte Analyse. Im Jahr 2022 gaben 15% der UE Anlass zu einem Aktionsplan (Abb. 5). Festzuhalten ist, dass:
das Tool Ende 2021 eingeführt wurde und 2022 dazu diente, die Mitarbeitenden bei der Aneignung des Tools zu begleiten;
die Mitarbeitenden aufgefordert sind, jegliches UE zu melden, unabhängig von allfälligen Folgen.
Abbildung 5: Anteil der unerwünschten Ereignisse mit Aktionsplan.
Seit der Einführung des neuen Prozederes und der Förderung der Qualitätskultur im Herzen der Strategie des Spitals nehmen die Meldungen stetig zu. Die umfassende Aktivierung des Ansatzes wird wahrscheinlich dazu beitragen, dass der Anteil der zu einem Aktionsplan Anlass gebenden UE zunimmt.

6. Anteil der Mitarbeitenden im Kontakt mit Blut oder mit blutkontaminierten Materialien, die einen ausreichenden Hepatitis-B-Impfschutz aufweisen

Bei der Einstellung werden unsere Mitarbeitenden nach ihrem Impfpass gefragt. Ist der Schutz gegen Hepatitis B nicht aktuell, werden sie zur Impfung aufgefordert. Die Arbeitsmedizin ist für die laufende Betreuung zuständig.
Zur Messung des Indikators haben wir als Näherungswert jene Personen herangezogen, die Opfer eines Unfalls mit Blutexposition wurden: Bei 17% der getesteten Mitarbeitenden erwies sich die Immunisierung als unzureichend. Aufgrund dieses Indikators hat sich die Arbeitsmedizin zu diesbezüglichen Massnahmen entschieden, ein Projekt wird derzeit entwickelt.

PDCA-Zyklus («Plan-Do-Check-Act»)

In den Spitälern werden schon heute Qualitätsindikatoren erhoben und untereinander verglichen. Allerdings sind die Indikatoren im Allgemeinen nicht Teil eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses. Die Qualitätskommission möchte aufzeigen, wie die Indikatoren in einem Qualitätsverbesserungszyklus, der sich an einem PDCA-Zyklus orientiert, verwendet werden können. Als Beispiel haben wir den PDCA-Zyklus auf die Verschreibung von Benzodiazepinen angewandt.
Das Problem: In den Spitälern werden zu viele Benzodiazepine verschrieben, was für die Patientinnen und Patienten mit dem Risiko schwerer Komplikationen (Sturz, Delirium usw.) einhergeht.
«Plan»: Wir haben die Rate der Benzodiazepin-Neuverschreibungen analysiert und auf 18% geschätzt.
«Do»: Extraktion der Daten über die Benzodiazepin-Verschreibungen der Ärztinnen und Ärzte in einem Dashboard mit pädagogischem Feedback und Möglichkeit des Peer-Vergleichs in Kombination mit Aufklärungsmassnahmen (Broschüren, Kursen, E-Learning).
«Check»: Analyse der Entwicklung der Verschreibungsrate nach der multimodalen Intervention, die eine mässige, aber signifikante Senkung der Benzodiazepin-Verschreibungen ergibt.
«Act»: Die Massnahme ist erfolgreich, allerdings in beschränktem Ausmass.
Der PDCA-Zyklus muss darum wiederholt werden, um die Gründe des Verhaltens der Verschreibenden zu verstehen. In unserem Beispiel haben wir festgestellt, dass Benzodiazepine in der grossen Mehrheit der Fälle verschrieben werden, um den Wünschen der Patientinnen und Patienten, die während des Spitalsaufenthalts an Schlaflosigkeit leiden, zu entsprechen. Folglich gilt es, die Faktoren zu untersuchen, die Schlaflosigkeit im stationären Umfeld begünstigen («Plan»). Dabei werden Lärm und nächtliches Aufwachen aufgrund der Kontrollen durch die Pflegefachpersonen identifiziert; ein erneuter PDCA-Zyklus zielt darauf ab, dieses Aufwachen während der Nacht zu vermeiden, indem ein fachliteraturbasierter Algorithmus erstellt wird, um jene Patientinnen und Patienten zu identifizieren, die tatsächlich während der Nacht kontrolliert werden müssen («Do») [4, 5]. Derzeit wird analysiert («Study»), ob diese Intervention erfolgreich ist («Act»).

Schlussfolgerung

Qualität bedeutet stets Arbeit und Anstrengungen. Der Qualitätskommission der SGAIM kam es darauf an, dass die Indikatoren für die klinische Praxis geeignet sind und möglichst wenig administrativen Mehraufwand verursachen. Wie anhand der genannten Beispiele ersichtlich ist, muss sich der Qualitätsansatz allerdings auf Indikatoren und einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess (PDCA-Zyklus) stützen, um nachhaltig und erfolgreich zu sein. Durch den Ersatz der Papierdossiers durch das EPD lassen sich strukturierte, standardisierte und hochwertige Daten leicht gewinnen. Die Entwicklung und Automatisierung dieser Indikatoren beruht aber derzeit fast ausschliesslich auf dem guten Willen der Leistungserbringer. Auch wenn das EPD Erleichterungen bietet, erfordern derartige Projekte die langfristige Investition nicht zu vernachlässigender Ressourcen und eine umfassende Änderung der Kultur – ein Weg, zu dem sich nur wenige Spitäler spontan verpflichten. In den Spitälern werden deshalb bevorzugt jene Qualitätsindikatoren umgesetzt, die mit direktem Einsparungspotenzial einhergehen, im Gegensatz zu den oben vorgestellten. Beispielsweise wird in den meisten Spitälern die Rate der Infektionen überwacht, da eine Infektion oftmals zu längeren und teureren Versorgungsmassnahmen führt. Man versteht daher, warum nicht nur auf den guten Willen der Leistungserbringer gezählt wird, sich für Qualitätsmassnahmen einzusetzen, und warum die von den Gesundheitsbehörden und der Politik definierten Anforderungen wichtig sind. Die Frage der Finanzierung, die mit der Erfüllung dieser Anforderungen einhergeht, bleibt indes ein Problem. Wenn nur die Leistungserbringer sie zu tragen haben, werden sich die Zusatzkosten wohl unmittelbar in den Gesundheitskosten und somit in den Versicherungsprämien niederschlagen. Das Hôpital de La Tour schlägt deshalb einen innovativen Ansatz vor, bei dem die Vergütung der Leistungen direkt mit deren Qualität verbunden ist: Erhält etwa eine Patientin oder Patient während des Aufenthalts auf angemessene Weise eine Transfusion, wird dem Spital ein Bonusbetrag gezahlt. Wird hingegen nicht nach vorgängigen Stürzen gefragt, obwohl dies angezeigt gewesen wäre, oder wird der Austrittsbericht nicht innert 24 h dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin übermittelt, muss das Spital einen Malusbetrag bezahlen. Mithilfe dieses Ansatzes könnte das Gesundheitswesen nachhaltig einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess unterzogen werden, weil die Leistungserbringer einen starken Anreiz hätten, klinisch relevante Indikatoren einzuführen und sie mit einem PDCA-Zyklus zu kombinieren.
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Prof. Dr méd. Omar Kherad, MPH
Service de médecine interne
Hôpital de la Tour
Meyrin-Genève
omar.kherad[at]latour.ch
1 Wertli M, Djalali SN, Kherad O, Schneemann M, Rampini SK, Rohrbasser A, et al. Indicateurs de qualité dans le domaine stationnaire. Bull Med Suisses. 2021;26:877–80.
2 smartermedicine.ch [Internet]. Bern: Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM); c2023.
3 Kherad O, Bottequin E, Steiner D, Alibert A, Eurin R, Bothorel H. Implementing a Multifaceted Intervention among Internal Medicine Residents with Audit and Educative Data Feedback Significantly Reduces Low-Value Care in Hospitalized Patients. J Clin Med. 2022 Apr;11(9):2435.
4 Wesselius HM, van den Ende ES, Alsma J, Ter Maaten JC, Schuit SCE, Stassen PM, et al.; “Onderzoeks Consortium Acute Geneeskunde” Acute Medicine Research Consortium. Quality and Quantity of Sleep and Factors Associated With Sleep Disturbance in Hospitalized Patients. JAMA Intern Med. 2018 Sep;178(9):1201–8.
5 Najafi N, Robinson A, Pletcher MJ, Patel S. Effectiveness of an Analytics-Based Intervention for Reducing Sleep Interruption in Hospitalized Patients: A Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med 2022 Feb;182(2):172–7.